Ein Arzt schuldet seinem Patienten eine Behandlung „lege artis“, also nach dem aktuellen Stand der ärztlichen Kunst. Diesen Standard erarbeitet nicht jeder Arzt für sich allein. Die Therapieempfehlungen – also das, was die führenden Mediziner einer Fachrichtung als die beste Behandlungsalternative ansehen – sind vielmehr für praktisch jede Facharztrichtigung in den Leitlinien der jeweiligen Fachgesellschaften niedergelegt (z. B. die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, die Leitlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft und viele andere). Diese Leitlinien fassen den aktuellen Stand des Wissens zusammen. Man würde nun annehmen, dass ein Facharzt den Inhalt der Leitlinien seines Fachgebiets parat hat und seine Patienten entsprechend behandelt. Leider ergab eine aktuelle Studie der Universität Köln (veröffentlicht im Deutschen Ärzteblatt Bd. 108, S. 61, 2011) ein anderes Bild: Viele Ärzte kennen den Inhalt der Leitlinien nicht und behandeln deshalb auch ihre Patienten anders, als in den Leitlinien empfohlen. Juristisch ist dies ein Haftungsfall, da der Patient in diesen Fällen nicht die beste wissenschaftlich gesicherte Diagnostik und Therapie erhält. Zur Klarstellung: Natürlich darf ein Arzt von Therapieempfehlungen der Leitlinien abweichen. Er muss die Leitlinien aber kennen und seine Abweichung von den Empfehlungen begründen.

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