EU Kommission legt Vorschlag für eine Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für Insider-Geschäfte und Marktmanipulation vor

Die Europäische Kommission hat am 20.10.2011 einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über strafrechtliche Sanktionen für Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (KOM (2011) 654 endgültig) vorgelegt (PDF Download hier). Gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 83 Absatz 2 AEUV, soll die neue Richtlinie die Anfang 2003 verabschiedete Richtlinie 2003/6/EG (sog. Marktmissbrauchsrichtlinie) effizienter und wirkungsvoller machen. Nach Ansicht der Kommission habe die Richtlinie 2003/6/EG die erwünschte Wirkung – einen wirksamen Beitrag zum Schutz der Finanzmärkte zu leisten – verfehlt. Nunmehr sollen die Mitgliedsstaaten verpflichtet werden, „Mindestvorschriften für die Definition der schwersten Formen des Marktmissbrauchs als Straftaten sowie für die Mindesthöhe der damit verbundenen strafrechtlichen Sanktionen zu erlassen“.  […]

Der Richtlinien-Vorschlag sieht in Artikel 3 eine Strafbarkeit für folgende Bereiche vor:

a)      (vorsätzliche) Nutzung von Insider-Informationen zum Erwerb oder zur Veräußerung von Finanzinstrumenten, auf die sich die Informationen beziehen, durch Personen, die sich im Besitz dieser Informationen befinden, für eigene oder fremde Rechnung. Dazu zählt auch die Änderung oder Stornierung eines Auftrags in Bezug auf das Finanzinstrument, auf das sich die Informationen beziehen, wenn der Auftrag vor Erlangen der Insider-Information erteilt wurde.

b)       (vorsätzliche) Weitergabe von Insider-Informationen an Dritte, soweit dies nicht rechtmäßig im Rahmen der beruflichen oder geschäftlichen Pflichterfüllung erfolgt.

Nationales deutsches Recht sieht in § 38 WpHG bislang eine Strafbarkeit für die Weitergabe von Insider-Informationen nur für Primärinsider vor. Sekundärinsider unterliegen derzeit  gem. § 39 Absatz 2 Nr. 3 und 4 WpHG nur einer Ordnungswidrigkeit.

Die derzeitige nationale Versuchsstrafbarkeit gem. § 38 Absatz 3 WpHG i.V.m. §§ 38 Absatz 1 und 2a, 39 Absatz 2 Nr. 3 oder 4 WpHG erfasst nur den versuchten Insiderhandel, nicht jedoch die versuchte Marktmanipulation. Artikel 5 des Richtlinien-Vorschlags führt somit zu einer Ausdehnung der Versuchsstrafbarkeit.

Der Richtlinien-Vorschlag gibt in Artikel 6 folgende Sanktionen vor:

Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die  Straftaten im Sinne der Artikel 3 bis 5 auf wirksame, angemessene und abschreckende Weise strafrechtlich geahndet werden können.

Damit werden sämtliche Normabweichungen unter strafrechtliche Sanktionen (Geldstrafe und Freiheitsstrafe) gestellt. Ein Spielraum für die nationalen Organe ist nicht ersichtlich. Faktisch  würde die Union Regelungskompetenzen für die Bestimmung der Tatbestände strafbaren Verhaltens als auch für die Bestimmung der zu verhängenden strafrechtlichen Rechtsfolgen an sich ziehen. Nach dem in Artikel 5 Absatz 3 des EU-Vertrages geregelten Subsidiaritätsprinzip ist dies ein zumindest fragwürdiger Vorgang. Das Inkrafttreten dieser Richtlinie würde einen großen Schritt in Richtung „supranationales Strafrecht“ darstellen, belässt sie den Mitgliedsstaaten im Wesentlichen nur die Ausführungs- bzw. Umsetzungsfunktion.

Darüber hinaus würde damit die Einführung eines in dieser Form bisher national nicht vorhandenen Unternehmensstrafrechts etabliert. In Artikel 7 sieht der Richtlinien-Vorschlag nämlich vor, dass „juristische Personen zur Verantwortung gezogen werden können, wenn eine solche Straftat zu ihren Gunsten von einer Person begangen wurde, die entweder allein oder als Teil eines Organs der juristischen Person gehandelt hat und aufgrund einer der folgenden Befugnisse eine leitende Stellung innerhalb der juristischen Person innehat: a) die Befugnis zur Vertretung der juristischen Person, b) die Befugnis, Entscheidungen im Namen der juristischen Person zu treffen, oder c) eine Kontrollbefugnis innerhalb der juristischen Person“.

Juristische Personen sollen auch zur Verantwortung gezogen werden können, wenn mangelnde Überwachung oder Kontrolle durch eine Führungsperson es einer ihr unterstellten Person ermöglicht hat, eine der genannten Straftaten zu begehen (Artikel 7 Absatz 2 des Richtlinien-Vorschlags).

Neben dem  sog. ultima ratio Grundsatz des deutschen Strafrechts würde damit auch der im Strafrecht geltende Schuldgrundsatz (keine Strafe ohne persönliche Vorwerfbarkeit) ausgehebelt. Die Strafbarkeit der juristischen Personen würde damit  „auf Augenhöhe“ zur Strafbarkeit der natürlichen Personen gehoben. Die sog. „Verbandsstrafe“ wäre auf Umwegen geboren. Die in § 30 OWiG normierte Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen würde dann ihren Sondercharakter verlieren und wäre überflüssig. Die Haftungsrisiken für Führungskräfte würden sich nochmals verschärfen. Dies vor dem Hintergrund der bereits jetzt im nationalen deutschen Strafrecht zu verzeichnenden Haftungsverdichtung für Führungskräfte, wie z.B. im Bereich der sog. Compliance-Anforderungen und der Untreuestrafbarkeit.

Es bleibt zu hoffen, dass die vom deutschen Bundesrat erhobene sog. Subsidiaritätsrüge wegen Nichteinhaltung der Kompetenzregelungen Erfolg hat. Bei prognostischer Betrachtung wird aber zu vermuten sein, dass sich die Union durch den Widerstand einzelner Mitgliedsstaaten nicht davon abhalten lässt, gebietsübergreifende gemeinschaftliche Strafrechtssetzung zu betreiben.