Eine frühe Mahnung mit Zahlungsfrist ist das schärfste Druckmittel des Pflichtteilsberechtigten

Einen Anspruch auf Pflichteil am Nachlass haben nur ganz nahe Angehörige, nämlich: Abkömmlinge (also Kinder, Enkel etc.), der Ehegatte und die Eltern, letztere aber nur, wenn der Verstorbene keine Abkömmlinge hatte. Pflichtteil bedeutet, die betreffende Person hätte nach gesetzlicher Erbfolge etwas geerbt, wurde aber durch ein Testament enterbt. Entsprechend verletzt und wütend sind die Pflichtteilsberechtigten oft. Sie suchen einen Anwalt auf und verlangen, dass der Pflichtteilsanspruch aggressiv geltend gemacht wird (Beispiel für ein Anwaltsschreiben hier). Das Gesetz gibt den Pflichtteilsberechtigten dazu scharfe Waffen an die Hand: Auskunftsanspruch, Wertermittlungsanspruch, Anspruch auf notarielles Nachlassverzeichnis und Anspruch auf eidesstattliche Versicherung durch den Erben. Das finanziell effektivste Druckmittel gegen den Erben wird in der Praxis von vielen Anwälten allerdings stiefmütterlich behandelt: Der Verzugszins auf den Pflichtteilsanspruch.

Die meisten Anwälte wissen zwar noch, dass der Pflichtteil sofort zur Zahlung fällig ist, also sofort nach dem Tod des Erblassers verlangt werden kann (§ 2317 BGB). Da man den genauen Betrag aber ja oft nicht sofort weiß, zum Beispiel weil Immobilien erst bewertet werden müssen, denken viele – auch Anwälte – dass die Verzugszinsen erst dann zu laufen beginnen, wenn man den Pflichtteilsanspruch wenigstens ungefähr beziffern kann und diesen Betrag dann zur Zahlung anmahnt. Das ist aber falsch. Der BGH hilft dem Pflichtteilsberechtigten, der die Erstellung des Nachlassverzeichnisses ja selbst nicht beschleunigen kann, durch sehr strenge Anforderungen an den Erben: Beim Pflichtteil tritt der Verzug bereits mit Zugang der unbezifferten Mahnung ein (BGH, NJW 1981, 1729).

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Der Erbe muss also ein großes Interesse daran haben, dass er das Nachlassverzeichnis möglichst schnell erstellt (Details und Checklisten dazu hier). In der Praxis stellt man oft das Gegenteil fest: Erben mauern und verzögern, geben nur halbherzig, unvollständig und lieblos Auskunft. Das ist gefährlich. Schickt der Anwalt des Pflichtteilsberechtigten nämlich bereits frühzeitig die Mahnung und setzt eine Zahlungsfrist, dann verzinst sich der gesamte Pflichtteilsanspruch mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszins, in heutigen Zeiten eine grandiose Geldanlage. Umgekehrt betrachtet macht sich ein Anwalt schadensersatzpflichtig, wenn er vergisst, den Verzugszinsen ins Laufen zu bringen. Bei einem Pflichtteilsanspruch von 100.000 Euro entsteht dem Pflichtteilsberechtigten schon ein Zinsverlust von 500 Euro pro Monat. Nun gibt es natürlich auch Fälle, in denen man den Pflichtteil in aller Ruhe verlangen will ohne allzu aggressiv vorzugehen. In diesen Fällen kann man bewusst darauf verzichten, durch das Verlangen von Verzugszinsen zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen. Wegen der oben beschriebenen Haftungsfalle sollte sich ein Anwalt in dieser Konstellation aber von seinem Mandanten schriftlich bestätigen lassen, dass dieser mit dem Verzicht auf Verzugszinsen einverstanden ist.

Falls der Erbe auch beim besten Willen den genauen Pflichtteilsbetrag noch nicht exakt berechnen kann, etwa weil er noch auf ein Gutachten eines Immobiliensachverständigen wartet, dann sollte er wenigstens einen Abschlag zahlen, damit sich der Verzugszins nur mehr aus dem Restbetrag errechnet. Diesen Abschlag sollte der Erbe zur Sicherheit ausdrücklich unter den Vorbehalt der Rückforderung stellen, für den Fall, dass sich nachträglich herausstellt, dass der Pflichtteil doch niedriger ist als die Abschlagssumme (etwa weil später noch eine Nachlassverbindlichkeit auftaucht).

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