Ärzte mögen Juristen nicht besonders. Als Seminar-Referent erfahre ich regelmäßig: Die Rechtsprechung zur Arzthaftung, insbesondere zu den Aufklärungspflichten empfinden viele Ärzte als ungerecht, jedenfalls als weltfremd. Ärzte, die oft unter Zeitdruck und auf Basis unvollständiger Informationen handeln müssen, reagieren gereizt, wenn ihnen Monate oder Jahre später ein Richter – der für seine rechtliche Prüfung alle Zeit der Welt zur Verfügung hat – erklärt, was man alles hätte anders und besser machen müssen. Besonders emotional wird es aber, wenn Ärzten eine Straftat vorgeworfen wird. Verständlich, da in diesen Fällen nicht nur die Reputation auf dem Spiel steht, sondern auch die berufliche Existenz (Stichwort Verdachtskündigung durch den Arbeitgeber). Man sollte also meinen, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte hier besonders vorsichtig agieren. In diesem aktuellen Fall – den man als Medizinrechtler nur schwer nachvollziehen kann – leider nicht:

Vor dem Landgericht Magdeburg muss sich ein früherer Chefarzt gegen den Vorwurf des Totschlags an einem schwerbehinderten Menschen verteidigen (FAZ vom 20.11.2008). Er hatte bei dem Patienten, der sich selbst nach einem schweren Verkehrsunfall nicht mehr äußern konnte, das Beatmungsgerät abgeschaltet (sog. passive Sterbehilfe). Die Staatsanwaltschaft meint, der Arzt hätte nicht eigenmächtig ein lebenserhaltendes Gerät abstellen dürfen, da der Sterbeprozess noch nicht eingesetzt habe. Sie erhon Anklage wegen Totschlags. Das Krankenhaus kündigte dem Chefarzt.

Nun steht aber im konkreten Fall zweierlei fest: Der Zustand des Patienten hätte sich nach menschlichem Ermessen nicht mehr verbessert. Er hätte also sein restliches Leben an den Apparaten verbracht. Und der Patient hatte sich zuvor ausdrücklich gegen solche lebenserhaltenden Maßnahmen ausgesprochen.

Wer sich mit Medizinrecht beschäftigt weiß: Hier ist die Rechtslage klar. Sie ist sogar höchstrichterlich entschieden (Kemptener Urteil aus 1994, des 1. Strafsenats des BGH; BGH-Entscheidungen des 12. Zivilsenats  XII ZB 2/03 vom 17.3.2003 (PDF) sowie XII ZR 177/03 vom 8.6.2005. Der Arzt darf in dieser Konstellation gar nicht weiter behandeln, weil es dem geäußerten Willen des Patienten widerspricht, also die erforderliche Einwilligung nicht (mehr) vorliegt. Der Arzt begeht also streng genommen durch die Weiterbehandlung eine Körperverletzung. Der Staatsanwaltschaft war diese Rechtsprechung entweder nicht bekannt oder egal. Beides gleich schlimm. Auch wenn der frühere Chefarzt frei gesprochen wird; allein die Anklage hat ihn seine berufliche Stellung gekostet.

Weitere Hintergründe zur Behandlungspflicht, zur Patientenverfügung, zu Muster-Patientenverfügungen und zur Sterbehilfe allgemein

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