Manch eine Ärztekammer will es noch nicht ganz wahrhaben und führt – meist aussichtlose – Rückzugskämpfe vor den Berufsgerichten. Dennoch: Das altehrwürdige Werbeverbot für Ärzte ist faktisch abgeschafft. Laut Bundesverfassungsgericht dürfen auch Ärzte positiv über ihre berufliche Tätigkeit berichten und aktiv um Patienten werben. Sogar Sympathie- und Imagewerbung sind dem Arzt ausdrücklich erlaubt. Verboten sich lediglich extrem unsachliche und reißerische Aussagen. Werbefreiheit ist also die Regel, Verbote sind die Ausnahme. Der Weg für professionelles Praxismarketing ist frei. Welche Grenzen bleiben?  (mehr…)

Für Anwälte ist Werbung (vornehmer: Kanzleimarketing) schon seit Jahren normal. Man spricht offen von gezielter Mandantenakquise und einem Markt für Rechtsdienstleistungen. Beim Anwaltsuchservice ködern Kollegen ihre potentiellen Mandanten neuerdings sogar mit „10 Prozent Rabatt auf die Erstberatung“ (nun ja, nicht jede Marketingaktion muss man genial finden). Die Werbebeschränkungen für Anwälte wurden innerhalb von zehn Jahren mit atemberaubender Geschwindigkeit hinweggefegt. Amüsiert denkt man an die Zeiten zurück, in denen ernsthaft diskutiert wurde, ob man auf Kanzleibriefbögen Farben oder Logos verwenden dürfe.

Verantwortlich war eine Kombination aus anwaltlicher Streitlust in eigener Sache, marktliberaler EU-Kommission und EuGH-Rechtsprechung (für die das Recht eben auch nur eine Dienstleistung ist) sowie einem massiven Konkurrenzdruck unter den Anwälten; bekanntlich gab es in Deutschland 1990 rund 56.000 Anwälte (auch damals beklagte man schon die Anwaltsschwemme) , heute sind es 148.000! Ohne Werbung kommt in dieser Situation kein Berufsanfänger auf die Füße. Der eine oder andere alteingesessene Advokat schüttelt noch verwundert bis angewidert den Kopf darüber, dass man die Jurisprudenz zur schnöden Dienstleistung herabwürdigt und Anwaltskanzleien auf Fußballtrikots und Taxis werben. Doch er ist bereits jetzt in der Minderheit.

Zurück zu den Ärzten:

Dort hat die Liberalisierung des Werberechts etwas länger gedauert; Ärzte prozessieren eben nicht so leicht gegen ihre Standesorganisationen. Doch jetzt ist sie da. Oft sind Ärzte selbst erstaunt, welch progressive Werbekampagnen einige Praxen und Privatkliniken fahren, ohne dass dies zu berufsrechtlichen Konsequenzen führt. Die Gerichte entscheiden mittlerweile fast immer pro Werbefreiheit. Sie haben offenkundig erkannt, dass der Verteilungskampf im Gesundheitswesen härter wird und sich Ärzte künftig auf dem „Markt Gesundheitsdienstleistungen“ aktiv positionieren müssen. Patienten informieren sich genauer und wollen den „besten“ – manchmal auch den preiswertesten – Arzt, mag er auch in Ungarn oder Slowenien praktizieren. Wettbewerb und ökonomisches Denken haben die Medizin voll erfasst. Auch wer solche Entwicklungen für falsch hält, kann sich ihnen in der medizinischen Praxis trotzdem kaum entziehen. Ohne professionelles Marketing werden es niedergelassene Ärzte künftig schwer haben. Ärzte sollten sich frühzeitig auf die veränderten Rahmenbedingungen einstellen und über Werbemaßnahmen für ihre Praxis nachdenken.

Da sich Ärzte mittlerweile häufiger als früher gegen Sanktionen der Ärztekammern und Berufsgerichte wehren, gelangen immer mehr Fälle bis zum Bundesverfassungsgericht, das seine liberale Rechtsprechung zugunsten der Werbefreiheit somit fortsetzen kann. Die meisten Abmahnungen und Bußgeldbescheide der Ärztekammern verstoßen nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gegen die Berufsfreiheit der Ärzte (Art. 12 Grundgesetz) und werden deshalb als verfassungswidrig zurückgewiesen.

Leider halten manche Ärztekammern – teils gegen besseres Wissen – an überholten Ansichten fest und versuchen immer wieder, zulässige Werbemaßnahmen zu unterbinden. Informierte und juristisch gut beratene Ärzte werden jedoch keine Schwierigkeiten haben, sich gegen ungerechtfertigte Sanktionen zu wehren.

Neuer Status Quo: Die „Tänzchen“-Entscheidung des BVerfG

Ärztekammern und Berufsgerichte versuchen verzweifelt, möglichst viel Substanz des überkommenen Werbeverbots aufrecht zu erhalten. Sie führen dabei aber ein Rückzugsgefecht auf Raten. Wie liberal die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mittlerweile ist, verdeutlicht die Entscheidung vom 13. Juli 2005. Im konkreten Fall hatten Münchener niedergelassene Orthopäden im Herbst 2003 in Zeitungsanzeigen und mit vorher abgestimmten Interviews (nennen wir es also ruhig Promotext) damit geworben, „die unangefochtene Nr. 1 … mit einer sensationellen Erfolgsquote“ zu sein. Bescheidenheit ist in Bogenhausen offenkundig out.

Ferner war im Interview zu lesen: „Oft sind die Patienten bereits im Rollstuhl oder vom Kortison schwer gezeichnet, haben lange Leidenswege hinter sich. Wenn sie dann am Tag nach der OP gesund und munter auf ihren Beinen stehen, mich glücklich anstrahlen und mit der Assistentin ein Tänzchen wagen, dann sind das bewegende Momente.“ Und schließlich: „Die sanfteste Bandscheibenoperation der Welt ist ein ärztliches Spitzenprodukt, made in Bogenhausen.“

So schön kann es sein, in Bogenhausen operiert zu werden. Da wünscht man sich ja fast einen Bandscheibenvorfall, wenn man danach mit einer schönen Assistenten tanzen darf. Doch im Ernst: Die wenigsten Ärzte würden überhaupt so großspurig auftreten wollen. Aber wäre es denn erlaubt?

Standesorganisation und Berufsgericht (beim OLG München) waren entsetzt, sahen diese Aussagen natürlich als glasklares Beispiel verbotener unsachlicher Werbung und verhängten 10.000 Euro Geldbuße wegen eines zumindest fahrlässigen Verstoßes gegen § 27 Abs. 3 Berufsordnung. Die Ärzte wehrten sich, unterlagen aber zunächst auch noch vor dem Landesberufungsgericht für die Heilberufe. Die Orthopäden gaben trotzdem nicht auf und erhoben Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung ihrer ärztlichen Berufsfreiheit – mit Erfolg: Anders als alle Vorinstanzen sah das Bundesverfassungsgericht auch solche Aussagen als zulässig an (Entscheidung 1 BvR 191/05 vom 13.7.2005). Die Berufsgerichte hatten die obigen Zitate isoliert betrachtet und die Aussagen als anreißerisch und anpreisend gewertet. Laut Bundesverfassungsgericht kommt es aber nicht auf einzelne Passagen eines Textes an, sondern auf den Gesamtcharakter (hier: des Zeitungsartikels bzw. des Interviews). Es ist ständige Rechtsprechung des BVerfG, dass „der Wortsinn einzelner Passagen einer Werbung stets grundrechtfreundlich im Kontext des gesamten Inhalts auszulegen“ ist (BVerfG, NJW 2001, S. 3324, 3325). Insgesamt enthielt der Werbetext (wenigstens auch) sachliche Informationen zu einer relativ neuen Behandlungsmethode und stellte die Vorzüge dieser Therapie gegenüber den herkömmlichen Operationsmethoden dar. Darin sah das Gericht ein anerkennenswertes Allgemeininteresse an der sachlich zutreffenden und dem Laien verständlichen Informationswerbung. Die Berufsfreiheit aus Art. 12 Grundgesetz erlaubt somit auch Ärzten umfassende und effektive Werbung. Aus der Werbewirksamkeit eines Textes folgt noch nicht, dass dieser als anreißerisch zu qualifizieren ist (BVerfG, NJW 2003, S. 2816, 2817). Für interessengerechte und sachangemesseneInformationen, die keinen Irrtum erregen, muss im rechtlichen und geschäftlichen Verkehr Raum bleiben (BVerfGE 82, 18, 28).

Werbefreiheit ist somit (anders als früher) der Grundsatz, Werbeverbote und Sanktionen sind die Ausnahme und kein Selbstzweck. Auch Sympathie- und Imagewerbung sind erlaubt. Ärztliche Werbung soll eine sachliche Information transportieren. Das muss aber nicht staubtrocken im Sinne eines medizinischen Bulletins geschehen: Ärzte dürfen sich auch von ihrer menschlichen Seite zeigen und um die persönliche Sympathie von (potentiellen) Patienten werben. Laut Bundesverfassungsgericht hat der Patient nämlich auch ein sachliches Interesse daran, den Arzt als Person einschätzen zu können. Persönliches Vertrauen zwischen Arzt und Patient ist wichtig für die Heilbehandlung. Es ist Ärzten deshalb erlaubt, sich – etwa in Zeitungsinseraten oder auf ihrer Praxiswebsite – mit Angaben zur Person zu präsentieren, etwa zum akademischen Werdegang und zu beruflichen Erfahrungen, aber auch zu privaten Hobbies, zu sportlichem oder sozialem Engagement, ja sogar zur Frage, welchen Dialekt sie beherrschen. Mit letzterem hatten Zahnärzte auf ihrer Website geworben. Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 26. August 2003) meinte dazu lapidar: „Für die vertrauensbildende Verständigung ist der Arzt auf eine gute Kommunikation mit dem Patienten angewiesen. Dies gilt auch für die örtliche Sprechweise.“ Also zulässig!

Auch wenn – wie bei privaten Hobbies – kein direkter Sachzusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit oder Qualifikation eines (Zahn-)Arztes existiert, so fehlt es nach Ansicht des Verfassungsgerichts trotzdem an Gemeinwohlbelangen, die ein Verbot solcher Angaben rechtfertigen könnten – gerichtlich entschieden ist dies zumindest im Rahmen der passiven Werbung im Internet. Die Werbefreiheit ist in den Augen des Bundesverfassungsgerichts eben die Regel, Verbote müssen durch gewichtige Gründe gerechtfertigt sein. Untere Instanzen der Berufsgerichtsbarkeit übersehen dies manchmal.

Fazit: Keine Angst vor dem Berufsgericht

Erlaubt sind Anzeigen, Websites, Broschüren oder Werbetexte, wenn sie bei einer Gesamtbetrachtung (auch) sachliche Informationen transportieren und nicht ausschließlich reißerisch und unsachlich sind. Der Patient hat – neben den rein medizinisch-fachlichen Aspekten – auch ein legitimes Interesse daran zu wissen, was sein Arzt „für ein Mensch“ ist. Deshalb gestattet das BVerfG auch sog. Sympathie- und Imagewerbung. Riskant wird es, wenn ausschließlich anpreisende und inhaltsleere Werbeslogans verwendet werden, die keinerlei für den Patienten relevante Informationen transportieren. Das Werbeverbot für Ärzte soll nämlich dem Schutz der Bevölkerung dienen; es soll das Vertrauen der Patienten darauf erhalten, dass der Arzt nicht allein aus Gewinnstreben bestimmte Untersuchungen vornimmt oder Behandlungen vorsieht (BVerfGE 71, 162, 174).

Im Ergebnis sind somit die allermeisten Werbemaßnahmen erlaubt, die Arztpraxen durchführen. Auch Werbung in – für Ärzte bislang noch ungewöhnlichen – Medien wie Radio und Lokalfernsehen ist zulässig. Standesorganisationen sehen dies manchmal noch anders und vertreten – trotz Kenntnis der Rechtsprechung – weiterhin eine restriktive Linie. Sanktionen durch Ärztekammern und Berufsgerichte bedeuten – wie oben gesehen – aber noch keineswegs, dass eine Werbemaßnahme auch wirklich unzulässig ist. Es ist in solchen Fällen vielmehr typisch, dass die Kammern und Berufsgerichte zu restriktiv sind und erst die höheren Instanzen arztfreundlich entscheiden. Ausdauer und Hartnäckigkeit des Arztes beim Zug durch die Instanzen lohnen sich deshalb.

Update 2009:

Die Werbefreiheit für Freiberufler wurde erneut gestärkt durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29.7.2009 (I ZR 77/07). Mehr dazu in diesem Beitrag