Die (spätere) Klägerin verbrachte einen munteren Abend in der Rockdisko. Der Spaß endete jedoch abrupt, als der DJ den Foreigner-Klassiker „Cold as Ice“ auflegte: Just bei diesem Song platzte der Besucherin das Trommelfell. (…)

Nun gut, das ist wahrscheinlich übertrieben formuliert. Jedenfalls erlitt sie einen Hörschaden. Und ging zum Anwalt. Jemand sollte – buchstäblich – dafür zahlen. Sie verklagte den Diskobetreiber sowie den DJ auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus §§ 823, 847 BGB (Fassung vor Schuldrechtsreform). Das OLG München entschied (Urteil vom 23.10.2006 – 17 U 3944/06), dass sowohl Diskobetreiber wie DJ prinzipiell haften. Im konkreten Fall hatten die Partyanbieter aber nochmal Glück: Das Gericht meinte, dass die Gefährlichkeit des Lieds „Cold as Ice“ (Details unten) für den DJ nicht erkennbar war.

Wer es genau wissen will, hier der O-Ton des OLG München:

„Ein Diskjockey ist für den Hörschaden einer Besucherin der Diskothek nicht verantwortlich, wenn allenfalls ein Sachverständiger nach Durchführung einer Reihe von Tests die Gefährlichkeit der beanstandeten Tonfrequenz für das menschliche Gehör hätte erkennen können.“

Sachverhalt:
Die Klägerin begehrt von den Beklagten als Gesamtschuldner Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines in der von der Beklagte zu 1 betriebenen Diskothek M am 28.05.2002 angeblich erlittenen Hörschadens. Der Beklakte zu 2 war an jenem Abend Diskjockey. Die am 16.04.1984 geborene Klägerin beansprucht Schmerzensgeld, da das Lied „Cold as Ice“ mit einer weitaus überhöhten Lautstärke abgespielt worden sei und sie sich hierbei einen Tinnitus zugezogen habe, der weiterhin bestehe. Ferner macht die Klägerin Schadensersatz für eine hyperbare Sauerstofftherapie in Höhe von 1.600 Euro geltend, welche seitens ihrer Krankenkasse nicht bezahlt wurde und verlangt die Feststellung der Verpflichtung der Bekl. Zum Ersatz zukünftiger materieller und immaterieller Schäden.

Die Beklagten bestreiten die Ursächlichkeit des Liedes für den behaupteten Hörschaden der Klägerin. Keine anderen Besucher hätten sich jemals beschwert. Die Musik werde in der Diskothek immer auf dem gleichen Level gehalten. Die Lautstärke sei nicht gesundheitsgefährdend. Auch sei eine kurzzeitige Erhöhung der Lautstärke bzw. der hohen Frequenzen in einen unerträglichen Bereich nicht möglich, da die Steuerungsanlage mit einem Blech versehen worden sei, damit ein versehentliches Aussteuern der Hebel nicht möglich sei. Die Lautsprecher seien nur auf 300 Watt ausgelegt. Die Musikanlage sei nicht anders als tausendfach in anderen Diskotheken verwendet. Die Verkehrssicherungspflicht sei jedenfalls nicht schuldhaft verletzt, da sechs Jahre nichts passiert sei. Die Beklagte zu 1 trägt weiter vor, sie habe für ihren Discjockey nicht einzustehen, da er ordnungsgemäß ausgesucht und überwacht worden sei. Ein Vorfall, der zu einer stärkeren Kontrolle habe Anlass geben können, sei noch nicht vorgekommen.

Der Bekl. Zu 2 beruft sich darauf, dass von einem Discjockey nicht zu erwarten sei, dass er wisse, dass gerade die Hochtonlastigkeit eines Liedes gesundheitsgefährdend sei. Ferner könne er bei der Vielzahl der Lieder nicht bei jedem einzelnen Lied jede einzelne Frequenzphase kennen. Schließlich wenden sich die Bekl. Gegen die Höhe der Forderung der Kl. Sie halten die hyperbare Sauerstofftherapie nicht für die geeignete Therapieform und das verlangte Schmerzensgeld von 4.500 Euro für weit überzogen.

Das LG hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, dass von einer Verkehrssicherungspflichtverletzung der Bekl. Auszugehen sei, weil es nach dem eingeholten Sachverständigengutachten nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich sei, dass der Hörschaden der Kl auf das Abspielen des Liedes „Cold as Ice“ zurückzuführen sei. Die hiergegen eingelegte Berufung der Bekl. Führte zur Klageabweisung.

Aus den Gründen:
Der Senat folgt den tatsächlichen Feststellungen des LG, dass die Kl. Sich zur fraglichen Zeit in der Diskothek der Bekl. Zu 1 aufgehalten und einen Hörschaden erlitten hat. Das erstinstanzliche Gericht hat auch zutreffend die Verkehrssicherungspflicht insoweit näher konkretisiert, dass jeder, der eine Gefahrenquelle für einen anderen eröffnet, also auch der Veranstalter einer Musikdarbietung, grundsätzlich selbstständig prüfen muss, ob und welche Sicherungsmaßnahmen zur Vermeidung von Schädigungen der Zuhörer notwendig sind. Er hat die erforderlichen Maßnahmen eigenverantwortlich zu treffen, auch wenn die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen keine Konkretisierung enthalten. Der Veranstalter und der jeweilige Verantwortliche haben die Pflicht, durch geeignete Maßnahmen das in ihrer Macht Stehende zum Schutz der Besucher vor Hörschäden zu veranlassen (BGH, NJW 2001, 2019).

Der Senat teilt allerdings die Auffassung des LG nicht, dass die Bekl. Zu 1 durch organisatorische oder technische Maßnahmen bzw. der Bekl. Zu 2 als verantwortlicher Diskjockey gegen diese Grundsätze verstoßen haben.

Der Senat folgt dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Sp. Dieser hat zur Beschallungssituation festgestellt, dass in der betreffenden kleinräumigen (49 m²) Tanzbar mit einer Musikanlage „Klassik Art System“, jeweils mit 300 Watt Sinus belastbar, maximal erzeugter Schalldruck: 124 dB, auch vorsorglich die Steuerungsanlage für die Lautstärke (Masterregel) extra mit einem blockierenden Blech versehen worden, damit ein versehentliches Aussteuern der Hebel nicht möglich gewesen sei. Selbst ein elektronisches Begrenzersystem (Peak Clipping) sei nicht in der Lage eine gesundheitliche Gefährdung tatsächlich mit Sicherheit auszuschließen. Der Bekl. zu 1 kann daher nicht der Vorwurf gemacht werden, die Anlage sei technisch nicht ordnungsgemäß ausgestattet gewesen.

Auf Grund der Feststellungen des Sachverständigen und des LG geht der Senat davon aus, dass für den Hörschaden der Kl. das Abspielen des Liedes „Cold as Ice“ ursächlich gewesen war. Der Sachverständige hat hierzu festgestellt, dass dieses Musikstück eine für das menschliche Ohr besonders kritische Tonfrequenz enthalte. Diese betrage auf der CD 16,4 Sekunden. Bei einer Dauer von 12,9 Sekunden sei mit absoluter Sicherheit keine Gehörschädigung zu erwarten.

Der Bekl. zu 2 muss als verantwortlicher Diskjockey, unabhängig von einer etwaigen Ausbildung, grundsätzlich damit vertraut sein, welche Gefahrensituation für die Besucher auf Grund der Lautstärke und der sonstigen Gegebenheiten bestehen können. In dem streitgegenständlichen Verfahren ist zu berücksichtigen, dass nach den Feststellungen des Sachverständigen die Tonfrequenz, die für das menschliche Ohr tatsächlich schädigend war, nur eine Zeitspanne von 3,5 Sekunden betragen hat.

Der Senat hat bereits Bedenken, ob selbst ein versierter Diskjockey tatsächlich alle abzuspielenden Musikstücke so gut kennt, dass er die Tonfrequenzen bereits, bevor er das Stück anspielt, berücksichtigen kann. Im Hinblick auf die Vielzahl der Musiktitel, den unterschiedlichen Darbietungen und von verschiedenen Coverversionen erscheint dies unmöglich.

Bei der Beurteilung der Verantwortungsmöglichkeit ist auch zu berücksichtigen, dass ein Diskjockey sich auf Grund der tatsächlichen Gegebenheiten nicht nur mit dem Abspielen von Liedern befasst. Wie der Bekl. zu 2 in der mündlichen Verhandlung glaubhaft erläutert hat, war er damit beschäftigt, ein Lied auszublenden und das neue einzuspielen.
Würde man der Auffassung des LG folgen, so wäre ein Diskjockey verpflichtet, sich vollständig auf das jeweilig gespielte Stück zu konzentrieren. Er dürfte sich weder mit irgendwelchen dritten Personen unterhalten, noch sich damit befassen, welches Musikstück als nächstes gespielt werden soll.

Bezüglich des streitgegenständlichen Musikstücks „Cold as Ice“ müsste einem Diskjockey ferner bekannt sein, dass 12,9 Sekunden der Tonfrequenz für das menschliche Ohr medizinisch unbedenklich sind und 16,4 Sekunden einen Hörschaden verursachen können. Der Gerichtssachverständige hat hierzu eine Fülle von Tests durchgeführt, um zu diesem Ergebnis zu gelangen.

Der Senat vermag nicht zu erkennen, wie ein Diskjockey dieses medizinische und technische Verständnis haben soll, um zu erkennen, dass eine Tonfrequenz von 12,9 Sekunden zwar für ein Ohr unproblematisch, aber 16,4 Sekunden zu einem Hörschaden führen können.

Der jeweilige Discjockey ist somit auf sein subjektives Empfinden und auf eine individuelle Reaktionszeit angewiesen, um eventuell reagieren zu können. Berücksichtigt man die Gesamtumstände in einer Diskothek, so ist der Senat davon überzeugt, dass dem Diskjockey allenfalls eine im Sekundenbereich liegende Reaktionszeit zur Verfügung steht deren Einhaltung von derart vielen Zufällen abhängig ist, dass ein Vorwurf hieraus nicht abgeleitet werden kann.