Der ewige Streit um die Vergütung des Testamentsvollstreckers

Im Unterschied zu den anglo-amerikanischen Rechtsordnungen, wo immer ein Executor oder Administrator den Nachlass abwickelt (Details hier), ist in Deutschland die Anordnung einer Testamentsvollstreckung eher die Ausnahme. Einen Testamentsvollstrecker braucht man in Deutschland nur, wenn der Ersteller des Testaments befürchtet, dass sich die Erben nicht an seine Anordnungen im Testament halten, dass die Erben also zum Beispiel Vermächtnisse an bestimmte Personen nicht erfüllen oder den Nachlass unter sich nicht so verteilen, wie es das Testament vorschreibt.

Was kostet ein Testamentsvollstrecker?

Die Ersteller eines Testaments, die sich für die Anordnung einer Testamentsvollstreckung entscheiden, vergessen dann aber oft, im Testament auch ganz konkret festzulegen, wie viel der Testamentsvollstrecker für seine / ihre Tätigkeit abrechnen darf.

Das Gesetz hilft hier nicht wirklich weiter, denn § 2221 BGB regelt lapidar:

Der Testamentsvollstrecker kann für die Führung seines Amts eine angemessene Vergütung verlangen, sofern nicht der Erblasser ein anderes bestimmt hat.

Was „angemessen“ ist, darüber haben die Erben – aus deren Erbschaft (Nachlassvermögen) das Testamentsvollstrecker-Honorar schließlich bezahlt wird – und der Testamentsvollstrecker naturgemäß oft sehr unterschiedliche Auffassungen.

Wenn das BGB nicht hilft, frägt man den Bundesgerichtshof. Der BGH hat bereits vor fast 60 Jahren (NJW 1963, 487) folgenden Grundsatz für die Beurteilung der Angemessenheit einer Testamentsvollstreckervergütung aufgestellt:

„Maßgebend für die Vergütung des Testamentsvollstreckers sind der ihm im Rahmen der Verfügung von Todes wegen nach dem Gesetz obliegende Pflichtenkreis, der Umfang der ihn treffenden Verantwortung und die von ihm geleistete Arbeit, wobei die Schwierigkeit der gelösten Aufgaben, die Dauer der Abwicklung oder der Verwaltung, die Verwertung besonderer Kenntnisse und Erfahrungen und auch die Bewährung einer sich im Erfolg auswirkenden Geschicklichkeit zu berücksichtigen sind.“

Schon etwas mehr Text als § 2221 BGB, aber wirklich griffig und für die Praxis hilfreich ist auch das nicht. Irgendwie hatte man sich schon gedacht, dass „angemessen“ mit Umfang und Schwierigkeitsgrad des Erbfalls zu tun hat. Aber ist nun 1 Promille oder 30 Prozent der Erbmasse angemessen? Oder sollte man besser auf den Zeitaufwand abstellen? Oder darauf, ob die Erbengemeinschaft schwierig ist? Ein Nachlass von 10 Millionen, bei dem alle Erben „brav“ sind und keine Probleme machen, kann in sechs Wochen erledigt sein, während eine Erbschaft von 50.000 Euro, bei der die Miterben über mehrere Jahre streiten wie die Kesselflicker, extrem arbeitsaufwendig sein kann.

Deshalb urteilte der BGH 2005 (ZEV 2005, 22 = FamRZ 2005, 207), dass man jeden Einzelfall individuell betrachten muss und etwaige Honorartabellen nicht schematisch anwenden darf:

„In der Rechtsprechung des BGH ist geklärt, von welchen Grundsätzen gemäß § 2221 BGB bei der Ermittlung der angemessenen Vergütung auszugehen ist: Maßgebend ist der Pflichtenkreis, der dem Testamentsvollstrecker im Rahmen der Verfügung von Todes wegen nach dem Gesetz obliegt, der Umfang seiner Verantwortung und die von ihm geleistete Arbeit, wobei die Schwierigkeit der gelösten Aufgaben, die Dauer der Abwicklung oder Verwaltung, die Verwertung besonderer Kenntnisse und Erfahrungen wie auch die Bewährung einer sich im Erfolg auswirkenden Geschicklichkeit zu berücksichtigen sind. Dabei ist die Berechnung der Vergütung nach Bruchteilen des Nachlasswerts möglich und im Grundsatz der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden förderlich. Solche Richtsätze – wie etwa die hier herangezogene Rheinische Tabelle – dürfen jedoch nicht schematisch angewandt werden. Sie geben i. d. R. nur einen Anhalt für Fälle, in denen der Testamentsvollstrecker die üblichen Aufgaben erfüllt.“.


Kann irgend jemand nun bitte eine praxistaugliche Richtschnur vorgeben, an der sich Testamentsvollstrecker und Erben orientieren können?

Neue Rheinische Tabelle für Testamentsvollstrecker

In der Praxis ist diese Richtschnur die sogenannte Neue Rheinische Tabelle. Die „Alte Rheinische Tabelle“ stammt aus dem Jahr 1925 und enthielt eine Aufstellung der Nachlasswerte in Reichsmark. Die Neue Rheinische Tabelle (abgedruckt ZEV 2000, 181) enthält folgende allgemeine Vorgaben:

Besonderheiten bei der Nachlassabwicklung

Wenn ein Testamentsvollstrecker von diesen allgemeinen Vorgaben abweichen will, muss er oder sie vortragen, dass die Abwicklung besonders schwierig oder umfangreich war, etwa weil es sich um ein Unternehmen handelte oder weil der Erblasser Vermögen im Ausland hatte

Wann darf der Erblasser frühestens abrechnen?

Die erste Gebühr, die ein Testamentsvollstrecker abrechnen (und aus dem nachlassvermögen entnehmen) darf, ist die sogenannte „Konstituierungsgebühr“, über die deshalb auch besonders oft gestritten wird. Laut Neuer Rheinischer Tabelle zur Testamentsvollstreckervergütung ist diese Gebühr fällig wie folgt:

„Der Vergütungsgrundbetrag ist zur Hälfte nach Abschluss der Konstituierung und im Übrigen mit Abschluss der Erbschaftsteuerveranlagung bzw. Abschluss der Tätigkeit fällig.“

Was muss der Testamentsvollstrecker tun, um die Konstituierungsgebür verdient zu haben?

Die Konstituierung i. S. d. Neuen Rheinischen Tabelle umfasst die Ermittlung, Sichtung und Inbesitznahme des Nachlasses sowie die Erstellung und Übermittlung des Nachlassverzeichnisses.

Über all diese Punkte – wann der TV also den Nachlass „konstituiert“ hat – kann man ausgiebig streiten. Wenn TV und Erbengemeinschaft daher auf Kriegsfuß stehen, wird nicht nur die Nachlassabwicklung selbst, sondern auch die Bestimmung des angemessenen TV-Honorars eine unendliche Geschichte.

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